Kampfloser Tarifabschluss – kein Erfolgsmodell!

Die Tarifrunde war kurz und schmerzlos wie nie, das Ergebnis in wirtschaftlich unsicherer Zeit ist sehr gut. Aber der Erfolg ist trügerisch. Auf Dauer zerstören kampflose Abschlüsse die Durchsetzungsfähigkeit der Gewerkschaft. Die Gegner*innen auf der Arbeitgeberseite wissen das und spekulieren darauf. Deshalb müssen wir jetzt handeln.

Am 27. März stimmte die große Tarifkommission des Bundesfachbereichs TK.IT dem Ergebnis der Tarifverhandlungen für bundesweit rund 60.000 Tarifangestellte, Auszubildende und dual Studierende zu. Keine zehn Tage zuvor hatten ver.di und Deutsche Telekom erste Sondierungsgespräche geführt und sich auf einen verkürzten Verhandlungsmodus geeinigt. Der Verhandlungsauftakt stand unter keinem gutem Stern. Unmittelbar zuvor wurde die Tarifrunde im Öffentlichen Dienst auf unbestimmte Zeit verschoben und in der Metallindustrie ein Tarifabschluss ohne Gehaltserhöhung vereinbart. Die Bedrohung durch die Pandemie führte zu einer Verschiebung des öffentlichen Interesses auf andere Themen und behördliche Schutzmaßnahmen schränkten öffentlichkeitswirksame Aktionen zur Tarifrunde massiv ein. Vor diesem Hintergrund bezeichnet Christoph Schmitz, der Leiter des ver.di-Fachbereichs TK.IT, den Tarifabschluss als sensationell.

Licht und Schatten

Das erzielte Ergebnis liegt mit seinen Entgeltsteigerungen von 4,6 – 5 % für 24 Monate und den zusätzlichen Regelungen zur Beschäftigungssicherung und Kurzarbeit in der Größenordnung der vergangenen Tarifrunden. Dieses ansehnliche Verhandlungsergebnis ist in der aktuellen Situation als absoluter Erfolg zu bewerten, hat aber auch eine Schattenseite.

Abnehmende Mobilisierung im Fachbereich TK.IT

Seit Jahren schwindet die Mobilisierungsstärke für Warnstreikmaßnahmen von Tarifrunde zu Tarifrunde bei der Telekom. Der Arbeitgeber beobachtet diese Entwicklung und wird uns früher oder später herausfordern, unsere Macht unter Beweis zu stellen. Wir können nicht mehr sicher sein, ob wir im Fall eines Erzwingungsstreiks die notwendige Durchsetzungsfähigkeit aufbringen. In der T-Systems bleiben die Tarifabschlüsse schon seit Jahren massiv hinter denen im Deutschland-Segment zurück, weil wir mangels Rückhalt bei den Beschäftigten keine besseren Ergebnisse durchsetzen können.

Gewerkschaftliche Machtressourcen schwinden

Gewerkschaftliche Macht basiert letztlich auf der Fähigkeit, Produktionsprozesse durch Maßnahmen wie Streiks nachhaltig erfolgreich zu stören. Wichtige Faktoren für diese Fähigkeit sind die Anzahl der Gewerkschaftsmitglieder im Unternehmen, die finanziellen Ressourcen zur Finanzierung von Aktionen und die Bereitschaft der Mitglieder zur harten Durchsetzung der gemeinsamen Interessen. Im Telekom-Konzern waren diese gewerkschaftlichen Machtressourcen viele Jahre lang in ausreichendem Maß vorhanden. Der Respekt des Arbeitgebers vor ver.di war so groß, dass über viele Jahre ohne Erzwingungsstreiks überdurchschnittliche Tarifabschlüsse erzielt werden konnten. Doch unsere Machtbasis schwindet. Die Gründe dafür sind vielfältig, vom allgemeinen gesellschaftlichen Wandel und generellen Veränderungen der Arbeitswelt bis hin zur Schwächung gewerkschaftlicher Netzwerke und Strukturen durch permanente Umorganisation und Verlagerung von Arbeit ins Ausland. Es ist uns als Gewerkschaft nicht im notwendigen Maß gelungen, auf diese Entwicklungen zu reagieren und unsere Machtquellen entsprechend anzupassen. Das wird neben dem abnehmenden Organisationsgrad auch an der nachlassenden Mobilisierungsfähigkeit und der immer dünner werdenden Personaldecke im ehrenamtlichen Bereich deutlich.

Der Arbeitgeber betreibt eine erfolgreiche Strategie zur Demobilisierung

In früheren Tarifrunden konnte aufgrund mehrerer aufeinander aufbauender, inakzeptabler Arbeitgeberangebote die Mobilisierung von einer Verhandlungsrunde zur nächsten immer weiter gesteigert werden. Durch die fortschreitende Verlagerung der Verhandlungen in Sondierungsrunden schafft es die Gegenseite, uns als gewerkschaftliche Basis von substantiellen Informationen abzuschneiden und somit die Mobilisierung zu schwächen. Wir haben es nicht geschafft, eine wirksame Gegenstrategie zu entwickeln. Im Gegenteil haben unsere Verhandlungskommissionen vermeintliche Erfolge erzielt, die an unserer Basis massiv kritisiert wurden (Stichwort Arbeitszeitverkürzung durch EZA-Tage). Nicht wenige Mitglieder haben in solchen Situationen ihren Austritt erklärt oder zumindest die aktive Beteiligung an Streikaktionen eingestellt.

Der jetzt kampflos erreichte gute Tarifabschluss ist ein weiterer Schritt in dieser Richtung. Er ist natürlich kein Grund auszutreten. Dennoch schwächt er unsere Strukturen, verringert unsere praktische Erfahrung für eine aktive Auseinandersetzung und raubt uns die wichtigste Gelegenheit zur Gewinnung von Mitgliedern. Es ist nicht auszuschließen, dass der Arbeitgeber das gute Verhandlungsergebnis ohne Arbeitskampfmaßnahmen auch deshalb zugestanden hat, weil er sich davon eine weitere Schwächung der Gewerkschaft für kommende Tarifrunden verspricht.

Stellvertreter*innen-Politik ist ein süßes, schleichend wirkendes Gift

In den letzten Jahren haben Vertreter*innen von ver.di bei Interessenkonflikten häufig in Gremien wie Aufsichtsräten ohne großen Wirbel mit der Arbeitgeberseite nach Lösungen gesucht und in einem vertraulichen „Letter of Intent“ festgehalten. Zumeist sind die hinter verschlossenen Türen erreichten Ergebnisse als gewerkschaftliche Erfolge zu werten. Diesen Erfolgen ging aber kein an unserer Basis wahrnehmbarer Konflikt voraus. Stattdessen wird eine Lösung wegen der Geheimhaltungspflicht im Aufsichtsrat typischerweise erst deutlich nach Abschluss eines LOI verkündet. Das führt dazu, dass wir regelmäßig vor die Mitgliedschaft treten und sagen: „Wir haben hier eine gute Lösung für ein Problem, das Ihr überhaupt nicht kennt.“ Diese Art von Erfolgen führt mittelfristig zu einer weiteren Schwächung von Machtressourcen an der Basis.

Erfolgreiche Methoden aus dem Organizing anwenden

Methoden aus dem gewerkschaftlichen Organizing haben in anderen Unternehmen (z. B. Charité, Ryanair, Amazon) teilweise zu beachtlichen Organisations- und Mobilisierungserfolgen geführt. Dabei geht es im Kern darum, Beschäftigte direkt in die Auseinandersetzungen für die Verbesserung der Arbeitsbedingungen einzubinden und sie so zum aktiven Teil der Gewerkschaftsorganisation zu machen.

Betriebliche Konflikte zur Entwicklung von Mobilisierung nutzen

Da aufgrund der kampflosen Tarifrunde 2020 nun über volle 4 Jahre lang im Feld der Tarifpolitik keine mobilisierenden Aktivitäten stattfinden können, müssen wir andere gewerkschaftliche Arbeitsfelder gezielt zur Mobilisierung nutzen. Auf allen Ebenen müssen wird jede geeignete betriebliche Auseinandersetzung nutzen, um Beschäftigte in diese Konflikte mit einzubeziehen.

Aus dem Üblichen

  • erst mit dem Arbeitgeber im kleinen Kreis verhandeln
  • dann die Beschäftigten über die Verhandlungsergebnisse informieren

muss ein

  • erst die Beschäftigten über den Konflikt informieren
  • dann zu Aktionen mobilisieren
  • um anschließend mit dem Arbeitgeber verhandeln

werden.

Dieses Vorgehen stellt übliche und bisher oft erfolgreiche Vorgehensweisen im Fachbereich TK.IT bzw. den zugehörigen Mitbestimmungsgremien in Frage. Aber ein „weiter so!“ führt über kurz oder lang dazu, dass die notwendigen Machtressourcen zusammenbrechen und wir wie in der T-Systems auf kollektives Betteln gegenüber dem Arbeitgeber zurückgeworfen werden.